CoronavirusHerr Rimoldi, was wollen Sie wirklich?

Herr Rimoldi, was wollen Sie wirklich?

Luzerner Massnahmen-Gegner
Die Bewegung «Mass-Voll» fordert die Aufhebung aller Corona-Massnahmen, sofort und ohne Alternative. Wie tickt die Jugendbewegung, die ihre Wurzeln in Luzern hat? Ein Interview mit Co-Präsident Nicolas A. Rimoldi.
Publiziert am Mo 29. März 2021 22:24 Uhr
© Mass-Voll
- «Mass-Voll» Co-Präsident Rimoldi bei der letzten grossen Corona-Massnahmen-Demo in Liestal.

Herr Rimoldi, Sie und Ihre Co-Präsidentin Carla Wicki kommen beide aus dem Kanton Luzern. Welchen Bezug haben Sie zueinander und wie ist daraus «Mass-Voll» entstanden?

Rimoldi: Ich bin in Neuenkirch aufgewachsen und lebe heute in der Stadt Luzern. Carla Wicki kommt aus Littau. Wir besuchten zusammen die Kantonsschule und gründeten einen Schülerrat. Ich denke, dass wir beide ein Gespür dafür haben, Brücken zu bauen und Menschen eine Stimme zu geben. Schon vor einem Jahr plante ich mit Kollegen eine Petition, um den ersten Lockdown zu stoppen. Damals hatte ich sogar noch Vertrauen in unsere Politik. Seit einigen Monaten kamen aber immer mehr Menschen auf Carla und mich zu, weil sie unzufrieden waren. Der zweite Lockdown war unsere Initialzündung. Es kann nicht sein, dass das Leid der Jungen ignoriert wird. Jeder Tag Lockdown ist ein Tag zu viel.

Wie ist Ihre Gruppe seit der Gründung gewachsen?

Exponentiell (lacht). Im Ernst, wir haben nach einem Monat über 2'200 Follower auf Instagram, was für Schweizer Verhältnisse sehr viel ist. Auf Telegram knacken wir bald die 4'000-Marke und auch auf TikTok erreichen wir zehntausende Jugendliche. Auf Social Media wachsen wir rasant, aber auch die Anzahl an Unterstützern steigt. Mehrere hundert Junge legen aktiv Hand an.

Lassen Sie uns über Ihre Forderungen sprechen. Sie fordern, dass ältere und gefährdete Personen vor dem Virus geschützt werden sollen, aber nicht alle Menschen. Wie stellen Sie sich das konkret vor?

Nicht ganz. Wir finden, dass jede Person für sich selbst verantwortlich ist. Wer eigenverantwortlich handelt, verlässt das Haus nicht, wenn er oder sie Symptome hat. 99,9 Prozent der Menschen sind vernünftig.

Glauben Sie das wirklich?

Ich habe ein grosses Vertrauen in den Menschen. Darum: Wer sich schützen will, soll das machen, aber dies ist nicht die Aufgabe des Staates. Es darf nicht passieren, dass mündige und erwachsene Bürger «zu ihrem Wohl» eingesperrt und bevormundet werden. Das ist sehr gefährlich.

© zvg
- IMG_1065

Wie stellen Sie sich unter diesen Bedingungen einen Schutz der Menschen vor, die sich schützen möchten? Diese müssen auch am Leben teilnehmen oder werden zum Beispiel von jüngeren Personen gepflegt.

Ich kann für mich selbst sprechen. Wenn ich einkaufen gehe oder im ÖV unterwegs bin, halte ich vor älteren Menschen oder Menschen mit FFP2-Maske grossen Abstand. Ich fasse kaum etwas an und bleibe zuhause, wenn ich Symptome habe. Das ist für mich der richtige Weg, dass man aufeinander Rücksicht nimmt. Was wir aber auch nicht vergessen dürfen: Wir Jungen werden 40 bis 50 Jahre lang für diese Pandemie bezahlen. Was wir brauchen ist Solidarität für alle.

Viele würden Ihnen entgegnen, eine Wirtschaft könne man wiederaufbauen, Millionen von Toten auf der ganzen Welt nicht. Was sagen Sie diesen Leuten?

Es geht nicht nur um die Wirtschaft, sondern unsere Grundrechte. Wenn man sich vor Augen führt, was der Menschheit mehr schadet, das Coronavirus oder die Zwangsmassnahmen gegen das Coronavirus, bin ich überzeugt es ist Letzteres. Kinderpsychiatrien sind voll, schwere Depressionen auf einem Allzeithoch, Familien, die sich nicht mehr ernähren können und auseinanderbrechen, häusliche Gewalt und Gewalt an Frauen: Dies sind Schäden, die viel schwerer wiegen als das Virus.

Wie sollen die Massnahmen Ihrer Meinung nach konkret abgeschafft werden? Was wäre Ihr Plan, wenn Sie entscheiden könnten?

Die Zwangsmassnahmen, beispielsweise Schliessung von Betrieben, Quarantäne oder Maskenpflicht, sind umgehend und bedingungslos aufzuheben, wie dies diverse Staaten der USA vorbildhaft und mutig machen. Die Fallzahlen sinken dort. Nur eine sofortige Aufhebung der Einschränkungen ist solidarisch und hilft Land und Leuten effektiv.

Was denken Sie und Ihre Kollegen über eine «NoCovid» Strategie? Schauen Sie sich Länder wie Australien, Neuseeland oder Vietnam an. Die Menschen dort können heute fast genauso leben, wie vor der Pandemie. Dies, dank kurzen aber harten Lockdowns. Ist das nicht genau in Ihrem Interesse?

Mir sind keine wissenschaftlichen Beweise bekannt, dass diese Zwangsmassnahmen etwas nützen. Wenn wir uns Länder anschauen, wo man ohne Impfung bald nicht mehr Einkaufen gehen darf, sehe ich die grosse Gefahr einer Zweiklassengesellschaft. Ich denke, es ist eine Illusion, zu glauben, dass eine Regierung mit Freiheitsbeschränkungen eine globale Pandemie bekämpfen kann. Das Virus ist da und wird nicht mehr verschwinden.

Jetzt geht es aber nicht um die Impfungen, sondern um Länder, die dank einer «NoCovid» Strategie zur Normalität zurückgefunden haben. Das ist es doch, was Sie wünschen?

Ich kenne die Situation in Vietnam zu wenig. Ich denke aber nicht, dass das funktioniert, wenn Reisen dorthin wieder möglich werden. Abgeschottete Grenzen bringen uns nicht weiter. Auch wir möchten keine Coronafälle mehr, aber die Frage ist, zu welchem Preis? Hier ist der Weg der harten Zwangsmassnahmen der teurere.

Was denken Sie, wieso nutzt die Mehrheit der Länder dann – bis auf wenige Ausnahmen – ähnliche Massnahmen zur Bekämpfung des Virus?

Weltweit wird der Weg der kommunistischen Partei Chinas kopiert: Freiheitsbeschränkungen, Restriktionen und Totalitarismus. Das ist unschweizerisch und führt immer ins Elend.

Studien zeigen, dass bis zu einem Viertel der Corona-Patienten auch Monate später mit Symptomen kämpfen (Long Covid Symptom). Davon betroffen sind auch viele junge Personen. Wie wollen Sie diesen jungen Leuten ein freies Leben garantieren?

Wenn Sie sich die sogenannten Long Covid Symptome anschauen, decken diese sich in den allermeisten Fällen mit den Symptomen psychischer Erkrankungen. Depressionen, Kopfschmerzen et cetera. Hier sollte man genau hinschauen. Es gibt neben Corona noch ganz viele andere Krankheiten. Jede Migräne Corona zuzuordnen ist unwissenschaftlich und verzerrt die Realität.

Aber wir sprechen hier nicht von Migräne, sondern von chronischem Husten, Lungenproblemen oder körperlicher Erschöpfung über mehrere Monate. Klingt das nicht eher nach Long Covid als nach Winterdepression?

Aber wir dürfen trotzdem nicht alles auf Long Covid schieben. Das Virus ist gefährlich, hier bin ich einverstanden. Ich bin selber schon zwei Mal an Corona erkrankt, obwohl dies laut Task Force gar nicht möglich ist. Und auch ich habe noch Folgeschäden. Trotzdem: In der Gesamtbetrachtung richten die Massnahmen weitaus mehr Schaden an.

Noch gelten die angeordneten Massnahmen, wie Maskenpflicht und Abstandsregeln. Wieso hält sich Mass-Voll bei ihren Auftritten an den Demonstrationen in Wohlen, Chur oder Liestal nicht daran? Sie stehen als Politiker doch für «Law & Order».

Ich habe an der Demo in Liestal mehrmals aufgerufen und darauf aufmerksam gemacht, dass die Maskenpflicht gilt *. Wir finden, jeder soll selbst entscheiden, ob er oder sie eine Maske trägt. Niemand soll vorschreiben, dass man an der frischen Luft eine Maske tragen soll. Zudem haben einige Mitglieder von uns Masken getragen. Es gibt davon etliche Fotos.

© zvg
- IMG_1042

Es gibt aber auch Fotos von Ihnen, auf denen Sie «Free Hugs» (Gratis Umarmungen) anbieten. Wie passt das zusammen?

Es ist doch allen selber überlassen, wie man sich begrüsst, ob mit Handschlag, Winken oder Umarmung. Es kamen Menschen zu mir, die mir erzählten, dass sie seit einem Jahr niemanden mehr umarmt haben. Viele hatten Freudentränen in den Augen, weil sie seit Langem wieder mit Menschen zusammenkamen. Die Demonstration in Liestal war der schönste Tag in meinem bisherigen Leben. Diesen Menschen eine schöne Zeit zu bescheren, da geht einem das Herz auf. Da geht auch das Bashing unserer Gegner vergessen.

Obwohl sich an den Massnahmen-Demos fast niemand an Maskenpflicht hielt, liess die Polizei sie gewähren. Es wird kritisiert, dass die Polizei an Klima-, Frauen- oder linken Demonstrationen viel härter durchgreift und bei Massnahmen-Skeptikern wegschaut. Wieso ist das so?

Wenn Gruppen wie die «Antifa» oder der «schwarze Block» demonstrieren, ist das grösstenteils mit Gewalt verbunden. Wir demonstrieren mit der Mitte der Bevölkerung, das sind ganz andere Menschen – Frauen, Kinder, Eltern und Grosseltern. Hier ist die Polizei viel massvoller unterwegs. Ich erachte es als verhältnismässig, wie die Polizei die Situation in Liestal oder Wohlen angegangen ist. Die Menschen brauchen dieses Ventil, ihren Unmut friedlich kundzutun.

Neben der «Mitte der Bevölkerung» scheinen auch immer wieder Rechtsextreme an den Demos mitzulaufen. Wieso marschiert Mass-Voll mit diesen Menschen und organisiert keine eigenen Kundgebungen?

In einer offenen Stadt lässt sich nicht kontrollieren, wer an einer Kundgebung teilnimmt. Mass-Voll grenzt sich von jeglicher Form von Extremismus ab. Dies ist in unseren Statuten festgehalten und hat auch auf unseren Plattformen wie Telegram keinen Platz. Beleidigungen, Drohungen und Aufrufe zur Gewalt werden konsequent gelöscht, dafür investieren unsere Moderatoren viel Zeit. Es kam auch schon vor, dass sich Antifa-Mitglieder in unserer Gruppe negativ geäussert haben, nur um davon einen Screenshot zu machen und an Journalisten zu schicken. Dies gibt es leider auch immer wieder.

In Liestal kam es aber auch zu Übergriffen auf Journalisten. Was geht Ihnen als Journalist bei solchen Bildern durch den Kopf?

Schrecklich, völlig inakzeptabel. Wer Gewalt anwendet, soll mit der ganzen Macht des Rechtsstaats zur Rechenschaft gezogen werden.

In Altdorf wären die gleichen Menschen vielleicht Seite an Seite neben Ihnen gelaufen, ohne dass sie das wissen können.

Ich hoffe und gehe davon aus, dass man diese Menschen ausfindig gemacht hat. Aber wenn ich mich nicht täusche, waren es Antifa-Leute, die sich dort geprügelt haben.

Die Person im Video sah nicht nach einem Antifa-Mitglied aus. Es sei denn, sie hätten sich verkleidet.

Genau solche Dinge werden aber gemacht. Auch beim Teilnehmer in Liestal, der mit «Flat Earth» Fahne unterwegs war, halte ich es für plausibel, dass es sich um eine False-Flag-Aktion handelt. Der Mann, der kein Wort Deutsch verstand, wurde zudem aggressiv, als er von den Veranstaltern aufgefordert wurde, die Demo zu verlassen. Aber zurück zur Gewalt: Nulltoleranz, egal ob von links oder rechts.

Wie geht es für Sie weiter? Gibt es ein Mass-Voll nach Corona?

Das wissen wir heute noch nicht. Wir fokussieren uns darauf, dass wir die Zwangsmassnahmen loswerden, der Jugend helfen und ihr eine Stimme geben. Es wird uns nur so lange geben, wie es uns braucht.

Und wie wollen Sie das erreichen? Nur mit lila Fahnen, Flyern und Stickern oder was ist noch geplant?

Wir planen verschiedene grosse Aktionen, ich darf jetzt aber noch nicht aus dem Nähkästchen plaudern. Geplant ist auch, dass wir vermehrt Fachexperten zu Wort kommen lassen, Ökonomen, Gesundheitspersonal oder Lehrerinnen. Auch wollen wir das Schicksal der jungen Betroffenen besser sichtbar machen. Ihre Stimmen müssen besser gehört werden.

Wie sieht Ihre persönliche Zukunft nach Mass-Voll aus?

Ruhe und Frieden (lacht). Ich war die letzten acht Jahre politisch sehr engagiert, pausenlos, bei jeder Abstimmung, oft in leitenden Funktionen von Komitees. Dies auf teure Kosten meines Privatlebens und meiner beruflichen Entwicklung. In Zukunft möchte ich mich wieder meinen Hobbies widmen, Fotografie und Reisen. Persönlich habe ich noch immer keine politischen Ambitionen.

Wohin geht Ihre erste grosse Reise nach Corona?

An einen Ort, an dem ich mit 19 Jahren fünf äusserst lehrreiche Wochen verbringen durfte und viele Freundschaften geschlossen habe. Ouagadougou in Burkina Faso.

    #Coronavirus#Corona-Massnahmen
© PilatusToday