ZentralschweizLuzern«Ich finde es falsch, einzelne Gruppen an den Pranger zu stellen»

«Ich finde es falsch, einzelne Gruppen an den Pranger zu stellen»

Albaner = Impf-Muffel?
Aktuell wird das Thema der Ferienrückkehrer und Corona-Infizierten breit diskutiert. Vor allem die Impfbereitschaft von Personen mit albanischen Wurzeln ist ein grosses Thema. Zwei Personen mit albanischem Hintergrund erzählen aus ihrer Sicht.
Publiziert am Di 7. Sep. 2021 06:58 Uhr
© Michael Sonderegger
- Marash Pulaj

Marash Pulaj (27) ist ein Luzerner Rapper. Zudem ist er Moderator der albanisch-schweizerischen TV-Sendung «Fol Shqip Show» und Befürworter der Impfung.

Kushtrim (25) kommt aus Luzern und möchte anonym bleiben. Er ist überzeugter Gegner der Covid-19-Impfung.

Warum bist du nicht geimpft?

Kushtrim: Ich bin aus verschiedenen Gründen nicht geimpft. Einerseits bin ich kein Risikopatient. Ausserdem hatten die Personen aus meinem Umfeld, welche an Corona erkrankt sind, keinen schlimmen Krankheitsverlauf – mit Ausnahme von Personen, welche bereits eine schlimme Vorerkrankung hatten. Ich lasse den Leuten, welche bereits eine Vorerkrankung oder ein angeschlagenes Immunsystem haben und auf den Impfstoff angewiesen sind, den Vortritt beim Impfen. Ich hinterfrage vieles oder besser gesagt: Ich zweifle vieles an. Ich finde es speziell, dass Pharma-Konzerne in weniger als einem Jahr einen Impfstoff auf den Markt bringen und es anfänglich heisst, man benötige nur zwei Dosen für den vollständigen Schutz. Jetzt sind es plötzlich drei. Dies bedeutet aber nicht, dass ich das Virus anzweifle.

Wieso sind viele Albaner nicht geimpft?

Marash: Die Gründe sollte man in verschiedenen Bereichen suchen. Die Herkunft als Hauptfaktor zu nennen ist meiner Meinung nach zu einfach und produziert ein problematisches Narrativ. Es gibt in der Schweiz auch Communitys mit sehr niedrigem Ausländeranteil und somit auch mit wenigen Menschen mit südosteuropäischem Migrationshintergrund, in denen die Impfquote sehr tief ist. Vielleicht spielen sozioökonomische Faktoren eine tragende Rolle. Vielleicht hat man bei den Informationskampagnen auf die falschen Kanäle gesetzt – so genau können es vermutlich nicht einmal die Experten sagen. Wichtig ist zurzeit vor allem, dass man dieses Problem zu lösen versucht und die Menschen vor diesem Virus schützt.

Kushtrim: Das kann ich so nicht sagen. Meine Freunde mit einem albanischen Hintergrund sind alle geimpft. Auch meine ganze Familie hat sich bereits impfen lassen. Ich kenne – abgesehen von mir – auch niemanden in meinem Umfeld, der gegen die Impfung ist. Schlussendlich bin ich der Meinung, dass jeder selbst entscheiden soll, was er machen will. Für mich ist es auch kein Problem, wenn sich jemand impfen lassen will. Meine Freunde haben sich grösstenteils jedoch nur aus Angst vor Einschränkungen wie beispielsweise der Zertifikatspflicht im Ausgang oder wegen der Einreisebestimmungen impfen lassen.

Was hältst du davon, dass man einer bestimmten Gruppe den Vorwurf macht, dass sie keine Rücksicht auf die anderen nehmen?

Marash: Ich finde es falsch, einzelne Gruppen so an den Pranger zu stellen. Bereits seit Beginn der Pandemie versucht man einen Sündenbock zu finden. Zu Beginn waren es ältere Menschen, dann jüngere, dann lag der Fokus auf der politischen Einstellung und nun gibt es ein Bashing gegen Menschen mit einer bestimmten ethnischen Zugehörigkeit. Das führt meiner Meinung nach zu einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft und trägt nichts zur Bewältigung dieser Krise bei.

Kushtrim: Ich stelle vor allem bei den Boulevard-Zeitungen fest, dass in letzter Zeit vermehrt gegen die Menschen aus dem Kosovo oder Albanien geschossen wird. Das ist einfach nur lächerlich! Für sie ist es schlussendlich nur eine Schlagzeile, die Klicks und Reichweite bei ihnen generiert. Deswegen meide ich auch solche Boulevard-Medien.

Fühlst du dich als Schweizer mit albanischem Hintergrund von der Gesellschaft diskriminiert?

Marash: Verschiedene Studien belegen, dass es in der Schweiz Diskriminierung gegen Menschen mit Migrationshintergrund gibt. Dies zeigt sich beispielsweise in Bereichen wie der Job- und Wohnungssuche oder auch bei den politischen Wahlchancen von Kandidierenden mit einem ausländisch klingenden Namen. Ich denke nicht, dass meine individuelle Erfahrung der Grösse und Komplexität dieser Thematik gerecht wird.

Kushtrim: Ich persönlich fühle mich aktuell nicht diskriminiert und mir ist die Angelegenheit auch bezüglich Alba-Festival (wurde kurzfristig abgesagt – Anm. d. Red. – PilatusToday berichtete) egal. Meine albanischen Freunde hingegen fühlten sich sehr wohl diskriminiert. «Warum dürfen die Schweizer an einem Open Air in Bern oder an einer Demo in Zürich teilnehmen, aber wir Albaner müssen auf unser Festival verzichten, welches dasselbe Schutzkonzept aufweist wie die Veranstalter in Bern?»

Denkst du, dass der Massstab bezüglich Impfbereitschaft bei der albanischen Community höher angesetzt wird als bei anderen?

Marash: Ich denke, viele möchten sich die aktuellen Geschehnisse gerne etwas zu einfach erklären. In der medialen Berichterstattung heisst es beispielsweise, dass die Impfquote im Kosovo viel tiefer ist als hier. Viele Menschen hierzulande schliessen dann daraus, dass das ausschliesslich mit der fehlenden Impfbereitschaft zu tun hat. Sie wissen vielleicht nicht, dass sich der Kosovo (und viele ärmere Länder weltweit) nicht früh genug (qualitativ hochwertigen) Impfstoff sichern konnte wie die Schweiz. Dasselbe gilt für Menschen mit Migrationshintergrund in der Schweiz: Die Gründe für die tiefere Impfquote haben vielleicht mehr mit sozioökonomischen Faktoren wie Job, Bildung oder Wohnort zu tun als mit fehlender Impfbereitschaft oder mit mangelnder Solidarität.

Wird dieses Thema in deinem Umfeld diskutiert? Was für ein Echo kommt zurück?

Kushtrim: Unterschiedlich. All meine albanischen Freunde sind, wie bereits erwähnt, vollständig geimpft. Aber ich habe auch Schweizer Freunde, von denen nur knapp die Hälfte geimpft ist.

Marash: Ich wurde letztens viel auf unser Interview mit Bundesrat Alain Berset für unsere TV-Sendung «Fol Shqip Show» angesprochen (PilatusToday berichtete). Ich habe fast ausschliesslich positives Feedback erhalten. Ich denke, viele Menschen aus meinem Umfeld wünschen sich einen konstruktiveren Diskurs und weniger hitzige Diskussionen.

    #Albanien#Coronavirus#Impfung
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