ZentralschweizNach dem Plagiat: Zweite Chance und Kaderposten am LUKS

Nach dem Plagiat: Zweite Chance und Kaderposten am LUKS

Doktortitel aberkannt
Weil er bei seiner Doktorarbeit abgeschrieben hat, wird einem deutschen Arzt der Doktortitel aberkannt. In Basel durfte er wieder doktorieren und arbeitet seit Jahren am Luzerner Kantonsspital (LUKS). «Skandalös», sagen Ärztekollegen. Zurecht?
Publiziert am Do 18. März 2021 16:58 Uhr
© Patrick Hürlimann / Luzerner Zeitung
- Der Lebenslauf eines leitenden Arztes der HNO am Luzerner Kantonsspital wirft Fragen auf. (Archivaufnahme)

Wer beim Abschreiben erwischt wird, dem drohen Konsequenzen. Betrügt man bei der Doktorarbeit, heisst die Konsequenz Entzug des Doktortitels. Plagiatsfälle können Minister zu Fall bringen oder das berufliche Ansehen für immer beschmutzen. Man erinnert sich an den ehemaligen Karl-Theodor zu Guttenberg in Deutschland, die österreichische Arbeitsministerin Aschbacher oder hierzulande an die «Mörgeli-Affäre».

Der leitende Arzt der HNO, der seit vielen Jahren am LUKS arbeitet, ist nicht ganz so bekannt wie die Promi-Plagiatoren, hat jedoch mindestens so fleissig abgeschrieben. 88 von 92 Dissertationsseiten, die der leitende Arzt 1994 an der Universität Heidelberg abgegeben hatte, weisen laut «VroniPlag» Plagiatsstellen auf. Laut der Plattform, die Plagiate an Hochschulen analysiert und veröffentlicht, ist die Doktorarbeit sogar grösstenteils eine 1:1 Kopie einer bereits veröffentlichten Arbeit seines Betreuers. Gemäss «VroniPlag» gibt es unter 210 untersuchten Doktorarbeiten nur wenige Dissertationen mit höherem Copy-Paste-Anteil.

Rekordverdächtiges Plagiat

Der Luzerner Arzt, der uns auf den Fall aufmerksam macht, findet es «skandalös», dass sich jemand weiterhin Arzt nennen und in der Schweiz praktizieren darf, der bei seiner Doktorarbeit «betrogen» haben soll. Er gehe davon aus, dass hier «gemauschelt» wurde, sagt er am Telefon. Für ihn sei unter diesen Umständen das Vertrauen in einer so verantwortungsvollen Position nicht mehr gegeben.

Wir fragen beim Luzerner Kantonsspital nach und reden mit Mediensprecher Markus von Rotz. Am Telefon bestätigt er, dass man am LUKS vom entzogenen Titel ihres Doktors wisse und «umfassend und transparent» darüber informiert worden sei. Der leitende Arzt habe mittlerweile einen gültigen Doktortitel der medizinischen Fakultät Basel. Der Arzt sei fähig und kompetent und verfüge ausserdem über einen Facharzttitel. Damit erfülle er alle Voraussetzungen, um an Schweizer Spitälern als Facharzt arbeiten zu dürfen. Für die Tätigkeit als Arzt sei ein Doktortitel keine Voraussetzung. Ausserdem seien die Umstände, die zum Plagiatsvorwurf und zur Aberkennung des Doktortitels führten, mit Bezug auf seine heutige Tätigkeit am LUKS ohne Belang. Weitergehende Ausführungen machte das LUKS mit Verweis auf den Daten- und Persönlichkeitsschutz nicht.

Nach der Aberkennung Neustart in Basel

Fakt ist: Wer als Ärztin oder Arzt Patienten behandeln möchte, braucht dazu keinen Doktortitel – Uni-Abschluss und Facharzttitel reichen. Und dennoch streben viele Mediziner nach dem begehrten Papier. Fakt ist aber auch: Wem der Titel aberkannt wird, hat in Deutschland seine zweite Chance auf einen Doktor verspielt. Und in der Schweiz?

An der medizinischen Fakultät der Universität Basel, wo der betroffene Arzt sein Doktorat 2018 nachgeholt hat, müssen Doktoranden erklären, dass «weder die vorliegende noch eine andere Dissertationsarbeit bei einer anderen medizinischen Fakultät eingereicht wurde». So will es die Promotionsordnung. Wieso klappte es dennoch mit der zweiten Chance in der Schweiz?

Primo Schär, Dekan der medizinischen Fakultät in Basel, erklärt, dass der Arzt wahrheitsgetreu angegeben habe, bereits eine Doktorarbeit verfasst zu haben. Nur bei erfolgreichem und nicht entzogenem Abschluss erlaubt die Fakultät den Erwerb des zweiten Doktortitels nicht. Die Uni Basel entscheide in solchen Fällen individuell, so Schär.

Primo Schär verstehe zwar, dass Studierende und andere Mediziner sich daran stossen könnten, wenn seine Fakultät Plagiatoren ihre Türen öffne. «Es gilt aber eine Abwägung im Einzelfall vorzunehmen. Unter Würdigung aller Umstände kamen die Verantwortlichen im vorliegenden Fall zum Schluss, dass eine Möglichkeit zur Promotion durch die Verfassung einer komplett neuen Dissertation eingeräumt werden kann.» Zudem handle es sich um einen Einzelfall. Ähnliche Fälle an der Uni Basel sind dem Dekan nicht bekannt.

Der Arzt hat sich demnach akademisch in der Schweiz nichts weiter vorzuwerfen. Sein in Basel erworbener Doktortitel ist gültig, sogar in Deutschland. Als wichtiger erscheint, wie Spitäler mit solchen und ähnlichen Fällen umgehen. Wer ein Plagiat begeht, hat die Regeln und damit wohl die Würde seines Berufsstands verletzt. Es stellt sich die Frage: Muss es nicht die Aufgabe der Spitäler sein, dafür zu sorgen, dass Patienten dem Ärztepersonal vertrauen können? Individuelle Fehler können dafür eine Chance sein, solange sie systematisch aufgearbeitet werden und man Weichen für die Zukunft stellt. Folgende Fragen können dabei helfen:

Gab es zum Fall ein internes Verfahren am LUKS? Was waren die Folgen? Würde das Spital einen zweiten Arzt anstellen, von dem es wüsste, dass er sich des Plagiats schuldig gemacht hat?

Auf diese Fragen wollte das Luzerner Kantonsspital nicht antworten, auch nach mehrmaligem Nachfragen. Gerne hätten wir auch den betroffenen Arzt zu Wort kommen lassen. Er wollte zur Geschichte aber keine Stellung nehmen. Und sein Arbeitgeber? Das Luzerner Kantonsspital spricht inzwischen nur noch über einen Anwalt mit uns. Um den «Daten- und Persönlichkeitsschutz zu wahren», so der Anwalt.

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